Oktober 30, 2020

Hochsensible Meister im Aushalten

 

Hochsensible Menschen sind Meister im Aushalten. Wie ich das meine? Genau darum geht es in meinem heutigen Blog Artikel.

 

Stell dich nicht so an!

Lass mich raten, dass hast du bestimmt auch schon tausende Male in deinem Leben gehört. Dicht gefolgt von „Jetzt sei doch nicht so sensibel“, „Nimm doch nicht immer alles so persönlich“, „Nimm dir doch nicht immer alles so zu Herzen.“

Wahrscheinlich hast du – genau wie ich – diese Sätze schon so oft gehört hast, dass du es schon lange nicht mehr zählen kannst. Und wahrscheinlich hast du – genau wie ich – ganz viele Strategien entwickelt, wie die anderen dir nicht mehr anmerken, dass es dir etwas ausmacht.

Da du hochsensibel bist, kannst du das nämlich nicht einfach abschalten. Du nimmst die Sachen nicht nur persönlich und du nimmst sie dir auch nicht immer so zu Herzen – sie treffen dich direkt ins Herz. Vollkommen egal ob du das willst oder nicht. Du kannst nicht einfach weniger fühlen.

 

Nur wie du damit umgehst, das kannst du beeinflussen.

Dafür ist es wichtig, dass du deine Hochsensibilität kennst, dass du dir deiner Werte bewusst bist und Grenzen ziehst.

Jetzt haben aber die meisten Hochsensiblen gar nicht gelernt, optimal mit ihrer Hochsensibilität umzugehen. In den meisten Fällen, weil sie noch gar nicht so lange wissen, dass sie hochsensibel sind. Und selbst wenn sie es wissen, ignorieren und verdrängen es die meisten. Sie ignorieren ihre Hochsensibilität so lange, bis sie vergessen, dass sie hochsensibel sind.

Es ist einfach nicht gesellschaftsfähig, sich auf einer Party hinzustellen und zu sagen „könnt ihr bitte die Musik etwas leiser machen, euch leiser unterhalten und mal kräftig durchlüften? Ich bin hochsensibel.“. Oder aus dem gleichen Grund gar nicht erst hinzugehen. Was haben wir also stattdessen mit unseren Gefühlen gemacht?

 

Wir haben gelernt sie auszuhalten.

Und das möglichst unauffällig. Wir schlucken die Kommentare runter, ignorieren unsere klingelnden Ohren und die Kopfschmerzen, nehmen die seelischen Verletzungen möglichst kommentarlos hin und reagieren möglichst emotionslos.

Wenn alle anderen sagen, dass die Lautstärke der Party doch gar nicht schlimm sondern genau richtig ist, dann muss ich doch falsch liegen. Wenn alle anderen sagen, dass es doch gar nicht so schlimm ist, dann muss doch irgendetwas mit mir nicht stimmen?! Und will ich das die anderen mitbekommen, dass mit mir etwas nicht stimmt? Natürlich nicht!

Also verstellen wir uns und halten es aus. Wir sind wahre Meister darin alles auszuhalten. Wir halten unangenehme Situationen aus. Unangenehme Gerüche, unangenehme Geräusche, die (aus unserer Sicht) kaum zu ertragen sind. Und vor allem halten wir die „Unsensibilität“ unserer Mitmenschen aus. Bei Nicht-HSP schon schwer – bei wirklich unsensiblen Menschen kaum zu ertragen.

Und nicht zu vergessen sind die Stimmungen unserer Mitmenschen. Die auf Nachfragen was los ist gerne mit „NICHTS“ antworten. 😉 (Das ist ja sowieso so ein Unding. Kann das mal bitte abgeschafft werden? Ein ehrliches „ich mag nicht darüber reden“ wäre tausend Mal besser als so zu tun als wäre nichts. ICH FÜHLE DOCH, DAS DA WAS IST! Auch dann, wenn du „nur“ schlechte Laune hast, weil du dich heute Morgen über deinen Chef geärgert hast.)

Und weil wir uns aber nicht anstellen wollen, nicht zickig und schon gar nicht anstrengend sein wollen, verstellen wir uns eben. Wir verbiegen uns. Das machen wir möglichst unauffällig. Bis niemand mehr merkt, dass wir eigentlich hochsensibel sind – nicht einmal wir selbst.

 

Wir verbiegen und verstellen uns.

Ganz häufig verstellen wir uns so viele Jahre und so lange, dass wir gar nicht mehr wissen, wer und wie wir eigentlich sind. „Sei doch mal authentisch“ wird dann zur Herausforderung deines Lebens. Und die Angst wird immer größer: werde ich denn noch ernst genommen und wertgeschätzt, wenn ich mich den Menschen so zeige, wie ich wirklich bin?

Im besten Fall fällt dir dann noch auf, das du dich verbiegst. Du tust Dinge, die dir in deinem Inneren eigentlich widersprechen. Das machst du aus Pflichtgefühl, aus Höflichkeit oder (ganz unbewusst) aus dem Wunsch heraus, gefallen zu wollen. Unbewusst steuerst du dein Selbstwertgefühl über die Bestätigung und die Anerkennung der Anderen. Positive Rückmeldungen bedeuten, dass du gut bist, wie du bist. Nur annehmen kannst du das nicht – weil du so ja gar nicht bist.

Im weniger guten Fall fühlst du dich unsichtbar, hast das Gefühl unendlich viel zu leisten und zu geben, ja, dich sogar aufzuopfern und nur wenig dafür zurückzubekommen. Tief in deinem Inneren weißt du, dass du so nicht leben willst. Das du dir das Leben anders vorgestellt hast.

Im schlimmsten Fall hast du die Verbieg-Strategie so perfektioniert (weil perfektionistisch sind ja auch die allermeisten von uns), dass wir nach außen hin vollkommen gefühllos erscheinen. Das kommt besonders häufig vor, wenn wir als Kinder traumatisiert worden sind und lernen mussten in einem äußerst unsensiblen Umfeld groß zu werden. Zum Beispiel, wenn ein hochsensibles Kind geschlagen wurde, der Vater die Mutter geschlagen hat und / oder das Kind keine Gefühle zeigen durfte.

Versteh mich an dieser Stelle bitte richtig: DAS IST FÜR ALLE KINDER FURCHTBAR! Und meiner Meinung nach muss da noch immer sehr, sehr viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit ALLE Kinder friedvoll aufwachsen dürfen. An dieser Stelle möchte ich dir „https://derkompass.org/“ aus ganzem Herzen empfehlen. Alle Eltern sollten sich mit dem Content von Ruth und ihrem Team schon mal auseinander gesetzt haben. ♥

Zurück zu den Hochsensiblen, die gelernt haben, dass ihre Gefühle falsch sind und die sich anpassen, um nicht mehr aufzufallen. Die perfekt darin sind, Dinge auszuhalten.  Hier ist mein Herzenstipp. Aus ganzem Herzen, von mir an dich: HÖR DAMIT AUF! ♥

 

Hör auf damit!

Höre auf, Dinge auszuhalten, die weit über deine Grenzen gehen. Höre auf, Dinge hinzunehmen, die dich verletzen. Höre auf, dich zu verbiegen weil du nicht auffallen oder dazu gehören willst. Und höre auf Schmerzen auszuhalten, weil andere sagen, dass das doch nicht so schlimm ist.

Du bist kein hilfloses Kind mehr und du musst dich nicht mehr verstecken. Nimm dein inneres Kind in den Arm und zeige ihm wie stark und groß du mittlerweile bist. Zeige ihm was in dir steckt.

Stehe für dich ein. Ziehe deine Grenzen und dann beschütze sie. Dafür musst du nicht in den Krieg ziehen – das liegt dir als HSP sowieso nicht.

Stattdessen kannst du sie klar & deutlich kommunizieren.

Und dafür musst du als allererstes wieder lernen auf dich selbst zu hören. Auf die innere Stimme, die dir sagen will, dass da gerade stark gegen deine Werte gehandelt wird.

Und auf deinen Körper, der dir mit den Kopfschmerzen oder der Erschöpfung sagen will, dass dir eigentlich schon lange alles zu viel ist. Und dann frage dich: was brauche ich jetzt gerade? Wie kann ich mir selbst jetzt gerade etwas Gutes tun? Wie kann ich mir etwas Erholung verschaffen? 5 Minuten Auszeit?

Wenn du gerade wirklich gar keine Möglichkeit siehst dir selbst eine Auszeit zu verschaffen, dann empfehle ich dir diese tolle Übung, die innerhalb von wenigen Sekunden dein System beruhigen wird. Vor einigen Tagen habe ich einer Freundin damit vor ihrer Prüfung die Panik nehmen können.

Am besten machst du direkt mit! Es ist egal ob du gerade draußen oder drin bist und ob um dich herum gerade Ruhe oder das totale Chaos herrscht.

 

9 Schritte SOS Anti-Stress Übung:

  1. Setze oder stelle dich aufrecht hin und spüre beide Füße fest auf dem Boden.
  2. Schaue mit den Augen gerade aus. Lasse deinen Blick möglichst weit werden, so dass du ohne den Kopf zu bewegen möglichst weit sehen kannst.
  3. Dann schaue mit den Augen nach oben, ohne dabei den Kopf zu bewegen.
  4. Jetzt nach unten.
  5. Dann nach links – ohne den Kopf zu bewegen.
  6. Und jetzt nach rechts.
  7. Anschließend noch einmal im Uhrzeigersinn die Umgebung „scannen“.
  8. Und in die andere Richtung.
  9. Jetzt kommt entscheidende: einmal tief erleichternd ausatmen und dabei laut sagen“ Puuuh! Zum Glück gerade kein Säbelzahntiger hier. Ich bin sicher.“

 

Diese Übung spricht direkt unseren Urinstinkt im Kleinhirn an und wird dich sofort etwas entspannen. Ab gesehen davon bringt sie mich immer zum Lachen oder zumindest zum Lächeln. Du kannst sie beliebig oft wiederholen.

Wenn du jetzt noch ein paar Tipps brauchst, wie du dich besser abgrenzen und weniger verbiegen kannst, empfehle ich dir die folgenden zwei Artikel, die sich damit beschäftigen: https://dubistgenug.de/grenzen-setzen/ & http://universityofhappiness.de/nicht-fuer-andere-verbiegen/.

Achja.. und sollte mal wieder jemand zu dir sagen „Stell dich nicht so an!“, dann antworte doch mal damit: „Wer hat eigentlich gesagt, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn wir alle immer unsensibler werden? Ich wünsche mir mehr Mitgefühl / Empathie von dir.“

Passend dazu ist kürzlich eine Studie veröffentlicht worden, die besagt, dass umso empathischer man sei, desto wahrscheinlich sei es, dass man sich mehr an die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus hält. 😉 Einen ausführlicheren Zeitunsbericht dazu findest du beispielsweise hier: https://www.aachener-zeitung.de/ratgeber/gesundheit/mitgefuehl-hilft-beim-einhalten-von-corona-regeln_aid-54013893.

Alternativ empfehle ich an dieser Stelle auch gerne nochmal meinen vorletzten Artikel über Mitgefühl: https://www.wunderworkcoaching.de/fuer-mehr-mitgefuehl/.

In diesem Sinne: bleib gesund, bleib sensibel und schütze deine Grenzen. ♥

Herzensgrüße
Deine Nicole ♥

 

Bild von Patou Ricard auf Pixabay