Kannst du fühlen, was die Menschen um dich herum fühlen?
Hochsensible Menschen fühlen viel und tief. Das weißt du wahrscheinlich schon. Manche von uns hochsensiblen fühlen allerdings noch mehr. Sie fühlen, was die Anderen um sie herum fühlen. Zu denen gehöre auch ich. Du auch?
Das kann ganz schön anstrengend sein, manchmal sehr verwirrend und im extrem Fall auch sehr unangenehm bis gefährlich sein. Warum ich das so sehe? Genau darum geht es hier heute.
Rein theoretisch ist grundsätzlich natürlich jeder Mensch dazu in der Lage wahrzunehmen, was die Person gegenüber gerade fühlt. Das es da Abstufungen gibt ist dir bestimmt auch klar. Ich persönlich teile das in fünf Bereiche ein, von denen ich dir hier erzählen will.
Möglichkeit 1: Du bemerkst was Andere fühlen
Jeder Mensch bemerkt früher oder später die Gefühle der Person, mit der man gerade interagiert. „Oh, jetzt bist du aber wütend“. Wenn es sehr lange gedauert hat auch gerne mit dem Zusatz: „worüber regst du dich denn jetzt plötzlich so auf?!“. „Warum bist du denn jetzt auf einmal so sauer“?
Kleine Info am Rande: es wird übrigens niemand „plötzlich“ oder „jetzt auf einmal“ sauer, wütend oder traurig. Das ist immer ein Prozess. Und in der Regel gibt es für diesen Prozess schon viele kleine Anzeichen. (Also außer es werden Gefühle gespiegelt, dazu gleich mehr.)
Möglichkeit 2: Du bemerkst was Andere fühlen – obwohl die andere Person sich selbst der eigenen Gefühle gar nicht bewusst ist
In diesem Fall nimmst du sehr wahrscheinlich all die kleinen Feinheiten und Nuancen – also die Anzeichen, die ich oben schon erwähnt habe – wahr. Und es kann durchaus vorkommen, dass du darin so geübt und erfahren bist, dass du schon mitbekommst was los ist, wenn dein Gegenüber noch denkt, es ist doch alles okay.
Dazu ein Beispiel: Ich bemerke, dass mein Mann genervter mit den Kindern umgeht und schon auf vermeintliche Kleinigkeiten gereizt reagiert. Ich frage ihn, was er gerade braucht, damit es ihm besser geht – und er schaut mich erstmal verständnislos an. Es ist doch alles okay? Wenn er dann jedoch in sich hinein hört, bemerkt er, dass er schon sehr nahe an seinen Grenzen ist. Und es würde nicht mehr lange dauern, dann wäre er über der Grenze.
Vor allem als Mutter oder Vater ist diese Variante extrem hilfreich. Ich bemerke sehr häufig schon sehr frühzeitig wenn sich eine Situation zwischen (meinen) Kindern hochzuschaukeln droht und kann dadurch schon sehr früh andere Strategien anbieten, so dass es erst gar nicht zu Eskalationen zwischen den Kindern kommt.
Schwieriger ist es für mich vor allem dann, wenn ich als Außenstehende Situationen mitanschauen muss, in denen eine Person (zum Beispiel früher in der Schule ein Lehrer) ungerecht mit einem Kind umgeht und gar nicht bemerkt, wie es dem Kind dadurch immer schlechter und schlechter geht. Das Kind wird immer ruhiger, macht sich klein oder fährt bereits Notfallstrategien (macht Witze = Flirt), versucht zu fliehen, greift an, etc… Und ich spüre die Not des Kindes, bzw. des Mitschülers so deutlich! Und plötzlich höre ich mich, wie ich mich für meinen Mitschüler einsetze als wäre ich Johanna von Orléans.. dabei mag ich den Mitschüler normalerweise nicht mal.. Und darum gebeten hat er mich natürlich auch nicht.
Möglichkeit 3: Du bemerkst was Andere fühlen – obwohl die andere Person versucht es zu verheimlichen
Das begegnet mir besonders häufig in der Business Welt. Die klassiche Situation: ein Meeting mit der Chefin. Alle kommen aus dem Termin und freuen sich darüber, wie es gelaufen ist und das wir so schnell fertig waren. Und ich stehe da und denke mir zum Beispiel das Folgende. „Sag mal haben die echt alle nicht gemerkt, wie beschissen es ihr offensichtlich geht?! Und das das Meeting nur deswegen so schnell vorbei war, weil sie uns schnellstmöglich wieder loswerden wollte?“
Ich sehe was du fühlst – auch dann, wenn du versuchst es zu verheimlichen. Auch wenn es außer mir niemand – wirklich NIEMAND – sonst es mitzubekommen scheint.
An dieser Stelle eine große Bitte an alle Menschen, die nicht darüber reden wollen wie es ihnen gerade geht. Antwortet doch statt „gut“ oder „alles okay“ ehrlicher mit „ich mag gerade nicht darüber reden“. Ich weiß ja doch das du lügst. Und wer wird schon gerne belogen?
Möglichkeit 4: Du fühlst, was Andere fühlen
Ich fühle deinen Schmerz. Wortwörtlich. Wenn es dich zerreist, zerreist es mich fast mit. Wenn du weinst, weine ich mit. Wenn du brutal sauer bist und ungerecht behandelt worden bist will ich für dich in den Krieg ziehen. Früher zumindest. Heute habe ich gelernt damit umzugehen. Wie genau, dazu komme ich gleich.
Das gemeine an der Sache: der Schmerz wird dadurch nicht halbiert und du fühlst dann weniger, sondern leider verdoppelt er sich in diesem Fall. Du leidest UND ich leide! Daher ist das auch nicht hilfreich. Weder für dich, noch für mich.
Vorteile hat das dann, wenn die Menschen um dich herum so richtig gut drauf sind. Früher auf Partys habe ich es genossen, zwischen all den gutgelaunten Menschen auf der Tanzfläche zu schweben. Ich habe quasi in ihrem Glück gebadet und war total berauscht – und dabei gleichzeitig stocknüchtern.
Möglichkeit 5: Du fühlst, was Andere über dich fühlen.
Und jetzt wird es ungesund bis gefährlich: denn wenn du mich ablehnst, lehne ich mich plötzlich auch ab. Wenn du mich nicht leiden kannst, werden meine Selbstzweifel gigantisch. Auf einmal sehe ich x Gründe, warum du ja recht hast und es total schwer ist mich zu mögen. Und wenn ich dieses Phänomen nicht kenne, dann denke ich, dass kommt alles aus mir selbst. In dieser Situation Selbstbewusstsein aufzubauen ist quasi unmöglich.
Aber auch das andere Extrem ist gefährlich: wenn du dich in mich verliebt hast, kann es passieren, dass auch ich denke, dass ich mich in dich verliebt habe – dabei spiegel ich dich nur.
Zum Glück kann man dieses Phänomen daran erkennen, dass dieses Gefühl weniger wird bzw. sich verändert, sobald „du“ weg bist. Abgrenzung bedeutet hier also ganz eindeutig Abstand zwischen uns zu bringen.
Aus eigener Erfahrung kann ich dir versichern: keine dieser Versionen ist besonders angenehm.
Was haben all diese Möglichkeiten gemeinsam?
Du ahnst es wahrscheinlich schon. In keiner dieser Möglichkeiten bist du bei dir. Du hast in diesen Momenten eigentlich keinerlei Ahnung wie es DIR wirklich geht! Und daher kannst du dich auch null um dich selbst kümmern. Wie auch, wenn du gar nicht weißt, was du brauchst.
Irgendwo habe ich dazu mal einen Witz gelesen. „Treffen sich zwei Hochsensible und der eine sagt zum Anderen: „Sagst du mir, wie es mir geht? Dann sage ich dir, wie es dir geht.“ Das enthält ernüchternd viel Wahrheit.
Und du fühlst das nicht nur bei deinem Partner…
Hier habe ich ein paar Situationen aufgelistet, bei denen dir so etwas passieren kann:
– natürlich bei jedem persönlichem Gespräch. Egal ob „live und in Farbe“, per Videokonferenz oder Telefon.
– bei jedem direkten Kontakt. Zum Beispiel, wenn ich in der Hauptstraße an dir vorbei laufe (deswegen sind Einkaufszentren/ Fußgängerpassagen, große Gruppen (z.b. in Kindergarten, Schule, Seminaren) für viele hochsensible Menschen so extrem unangenehm).
– bei jeder Form, in der ich etwas lese, was du geschrieben hast (Handy Nachrichten, Bücher (!), Zeitungen, Blogartikel, Briefe, Posts und Kommentare in Social Media, etc.
Wenn mehrere Hochsensible aufeinander treffen…
Du kannst dir jetzt in etwa vorstellen, was passiert, wenn mehrere Hochsensible aufeinander treffen. Zum Beipsiel, weil sie zusammen wohnen.
Bei mehreren hochsensiblen Personen (z.b. zwei HS Partnern, Hs Kind & Eltern, zwei HS Geschwistern) besteht in solchen Momenten die wirklich sehr realistische „Gefahr“ des Gefühls-Ping-Pongs.
Das kannst du dirin etwa so vorstellen: ich fühle, was du fühlst und es macht mich traurig. Du fühlst, was ich fühle und jetzt bist auch du traurig. Und darüber genervt, dass du dich von meiner Stimmung beeinflussen lässt. Das wiederum fühle ich, weshalb dann auch ich traurig und genervt bin. Das kann sich bis zur totalen Eskalation hochschaukeln: in Minuten!
Und jetzt stelle dir das mal vor, wenn vier hochsensible Personen zusammen in Quarantäne gesteckt werden…
Was also tun?
Meine 11 besten Tipps um wieder zu dir zu kommen:
Was also tun? Hier meine 11 besten Tipps, was dir in all den vorangegangen Situationen sehr schnell helfen kann.
- Kaltes Wasser auf die Haut Wasserhahn reicht zur Not, noch besser duschen.
- Deine Haut abklopfen, abschütteln, shaken, hüpfen.
- Frage offen bei deinem Gegenüber nach: „Inwiefern fühlst du dich gerade …?“ Und ich weiß, dass das manchmal viel Mut erfordert.
- Nutze starke und vor allem qualitativ hochwertige Öle, mein Favorit in dieser Situation: Pfefferminz. Einfach ein paar Tropfen in die Handfläche und tief einatmen. Es geht aber auch irgendeine Form von sehr starkem Geruch.
- Scharfes Essen – es muss brennen. Bringt dich garantiert sofort zurück zu dir. Man muss es aber mögen.
- Intensive Getränke: Zitronenwasser – so richtig sauer. Es geht auch sehr kaltes Wasser oder heißer Tee.
- Frage dich selbst: ist das gerade wirklich mein Gefühl? – Dazu gibt es auch ein paar Übungen von „Access Consciousness“.
- Mit jemandem reden – falls gerade niemand verfügbar ist: aufschreiben (journaling): Rückverfolgen, wie wenn du etwas suchst. Anstatt wo habe ich den Schlüssel zuletzt gehabt / wann ging es mir noch gut/anders? Seit wann geht es mir so?
- Bewegung / Sport: gerne in der Natur. Das ist aber nicht für alle geeignet, weil auch im Wald gibt es echt viel Ablenkung, Geräusche, viel zu sehen, zu riechen, etc. Man kann als HSP durchaus überreizt aus einem Wald kommen. Eigene Erfahrung 🙈
- Atmen, breathwork – nein, nicht nur drei mal tief durchatmen – sondern richtige Breathwork. Wenn du dazu mehr wissen willst, empfehle ich dir von Herzen meine Kollegin Kathrin Borghoff und ihren Kurs „Back in my Body“.
- Ein The Work Arbeitsblatt schreiben: wenn ich versuche detailliert aufzuschreiben warum ich gerade so wütend bin, fällt mir evtl auf, ich bin es gar nicht. Oder ich kann die Gedanken dazu danach hinterfragen. Y sollte x nicht so behandeln. Ist das wahr? Wenn du darüber mehr erfahren willst, empfehle ich dir meinen letzten Artikel.
Was du dagegen definitiv nicht tun solltest:
Hoffen das es von alleine wieder weg geht. Tut es zwar irgendwann, dauert aber eeeeewig!! Also wirklich ewig! Noch viel länger, als du es dir jetzt vorstellen kannst, wir reden von Tagen bis Wochen!!
Dem anderen die Schuld dafür geben, was du fühlst und sowas sagen wie „kannst du deine Gefühle mal bei dir behalten?“ oder „du verströmst so negative Energie, kannst du das mal lassen?“ Ist mir tatsächlich mal in einem Seminar passiert. Mal ganz abgesehen davon, dass es „negative“ Energie nicht gibt. Nur zu schwere und für dich unpassende. Und das liegt daran, dass du sie festhältst, obwohl es nicht deine ist. Also zurück zu den Übungen oben. 😉
Einfach davon ausgehen, dass alle deine Gefühle deine sind. Sind sie nicht.
Alle Gedanken dazu unhinterfragt als deine eigenen und als wahr annehmen. Falls du jetzt nicht weißt, wie ich das meine, empfehle ich dir auch hier nochmal meinen letzten Blogartikel. 😉
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Nicole
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