Mein Kind sollte nicht so viel Zeit vor dem Tablet verbringen.

 

Kann man eigentlich auch über die eigenen Kinder worken? Man kann! Meiner Erfahrung nach sogar ziemlich gut. Und hier zeige ich euch an einem persönlichem (und hoch aktuellem) Beispiel wie gut das für mich funktioniert.

Meine Situation: Corona-Stubenarrest. So fühlt es sich zumindest an. Ich muss arbeiten und die beiden Kids bespaßen und damit das gelingt greife ich auf der Kinder liebstes Spielzeug zurück. Ihr Tablet. Leider wird die Arbeit nicht weniger. Und die Gedanken auch nicht. Immer häufiger taucht ein ganz bestimmter Gedanke auf. Er wird größer, machtvoller, stressiger und immer lauter. „Mein Kind sollte nicht so viel Zeit vor dem Tablet verbringen!“ Höchste Zeit, sich diesem Gedanken mithilfe von The Work von Byron Katie mal genauer zu widmen:

Mein Kind sollte nicht so viel Zeit vor dem Tablet verbringen. Ist das wahr? – Ich schließe die Augen, atme tief ein und aus.. EINDEUTIG JA! Ich will nicht mal laut sagen, wie lange er davor saß!

Mein Kind sollte nicht so viel Zeit vor dem Tablet verbringen. Kann ich mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist? – Hm… nochmal atme ich tief ein und aus. Mit absoluter Sicherheit? Jain? Ich tendiere immer noch zum Ja. Aber wirklich sicher fühlt sich das nicht mehr an. Also vielleicht… Nein.

Wie reagiere ich, was passiert, wenn ich diesen Gedanken glaube? Mein Kind sollte nicht so viel Zeit vor dem Tablet verbringen! – Da muss ich nicht lange nachdenken. Meine Gedanken feuern sofort los: Ich denke, dass ich eine schlechte Mutter bin. Ich bin gestresst. Ich fühle mich wie eine Versagerin. Ich denke daran, was der Kinderarzt gesagt hat. Bis vier Jahre gar nicht, danach maximal 30 Minuten am Tag.. puh… Mist! Ich vergleiche mich mit anderen Eltern. Denke an all die tollen Bastel-/Sport-/Musikangebote, die ständig gepostet werden und die mein Kind partout nicht wahrnehmen will. Mir wird schlecht. Mein Bauch krampft sich zusammen. Ich spüre wie die Wut und die pure Verzweiflung hoch kommt. Ich sollte härter durchgreifen. Ich sollte häufiger ein Machtwort sprechen. Würg. Da kommen alte Verhaltensmuster und das gute alte autoritäre Denken hoch. Ich erinnere mich an meine eigenen Kindheit, wie reglementiert und streng fernsehen damals bei uns war. Wie blöd das war. Wie ich bei meinem Papa alles schauen durfte was ich wollte und dann auch nie davon losgekommen bin. Nichts anderes mehr gemacht habe. Und mehr als einmal einen Film geschaut habe, der nicht altersgerecht war und von dem ich dann wochenlang Alpträume hatte. Aha! Daher kommt also die Angst. Ich habe Angst, dass es meinem Kind schadet. Das es einen Schaden davon trägt. Das Gehirn einen Schaden erleidet. Mein Kind blöd wird. Das es süchtig wird. Das es faul und dick und ungesund wird. Puh ist das schwer und anstrengend. Ich fühle mich machtlos. Hilflos. Wie kann man das liebevoll lösen? Der Gedanke bringt einen riesigen Berg Stress in mein Leben. Ich bin nicht in der Lage liebevoll über mich und über mein Kind zu denken. Ich bin nicht in der Lage eine Lösung zu sehen, mit der ich mich gut fühle. Ich bin (in meinem Alltag) auch nicht in der Lage diesen Gedanken zu hinterfragen.

Ich mache eine kurze Pause, schüttel mich einmal, verändere meine Sitzposition und atme nochmal bewusst ein und aus.

Wer oder was wäre/bin ich ohne den Gedanken? – Ohne den Gedanken.. ich betrachte mir die Situation wie auf einem Foto. Tja, ohne den Gedanken sehe ich ein glückliches Kind, dass begeistert vorm Tablet sitzt und eine Frau, die daneben am Laptop arbeitet. Einfach so. Ohne Geschichte dahinter kann ich meiner Intuition vertrauen. Dann kann ich mein Kind ansehen und nachspüren, ob es genug hat oder ob es meinem Kind gut tut und vor allem gut geht. Ohne den Gedanken ist es in mir auf einmal ganz friedlich. Da kann ich sogar ein wenig Stolz auf uns wahrnehmen, dass wir mit der momentanen Situation so gut zurechtkommen. Eine wundervolle Ruhe breitet sich in mir aus. Jetzt bin ich wieder die Mutter, die ich sein will: gelassen, geduldig, entspannt, liebevoll.

Umkehrung 1: Ich sollte nicht so viel Zeit vor dem Tablet verbringen! Haha! Ich muss lachen. Da fallen mir sofort Beispiele ein:

1. Ersetzen wir mal Tablet durch Laptop oder Handy und schon stimmt der Satz zu 100%. Ich hab quasi immer mein Handy in der Hand. Fast rund um die Uhr bin ich erreichbar. Jetzt gerade sitze ich ja auch vorm Laptop. Wie soll also mein Kind lernen, dass etwas anderes interessanter/sinnvoller ist, wenn ich das so vorlebe?

2. In jeder freien Minute arbeite ich momentan. Und es ist nicht nur zu viel aus Sicht meines Kindes. Auch mein Körper schreit es mir laut entgegen. Ich brauche eine Pause. Bildschirmfrei! Ich sehne mich nach dem Wald, der Natur und nach deutlich mehr Bewegung. Das behalte ich direkt im Hinterkopf für die gelebte Umkehrung.

3. Wenn ich weniger Zeit vorm Handy/Laptop verbringe, dann verbringt mein Kind auch automatisch weniger Zeit dort. Einfaches Beispiel, wenn wir ins Schwimmbad gehen. Ist halt gerade nicht möglich. Das gibt mir aber direkt die notwendige Sicherheit: Es wird wieder anders werden. Wir haben gerade eine Ausnahmesituation und extreme Bedingungen. Da sind die Ausnahmen eben die Regel. Das beruhigt direkt mein ganzes System. Ich spüre richtig wie mein Puls ruhiger und der Stress weniger wird.

Umkehrung 2: Mein Kind sollte so viel Zeit vor dem Tablet verbringen! Hm.. das ist schon schwieriger. Wie kann das in dieser Situation auch wahr sein?

1. Hm.. also erstmal.. die Realität sieht nun mal gerade so aus. Das Kind saß so viel vorm Tablet. Also sollte es vielleicht auch so sein. Aber warum? Wie könnte das etwas Gutes sein? – Da macht es klick: klar! Damit ich arbeiten kann! Ohne das Tablet wäre ich gerade aufgeschmissen. Da könnte ich meinem Chef sagen, dass er bis nach Ostern nichts mehr von mir hört, liest oder sieht.

2. Mein Kind sollte so viel Zeit vor dem Tablet verbringen… weil mein Kind dabei total viel lernt! Gerade heute war eine kindgerechte Sendung über Wale dabei, die sehr aufmerksam verfolgt worden ist. Die Inhalte dort hätte ich definitiv nicht vermitteln können. Ich achte generell sehr darauf was mein Kind schaut. Schaue mir die Inhalte an, frage nach, warum das so viel Anklang findet. Hinterfrage die Sinnhaftigkeit. Erkläre bei Fragen. Achte darauf, dass es pädagogisch auch wertvoll ist und keine aggressiven Werte vermittelt werden. Und begleite die Gefühle, die dabei auftauchen. Das bringt mich direkt zum nächsten Beispiel:

3. Wir schauen auch gerne Sachen zusammen. Dabei kuscheln wir dann intensivst. Reden über das gesehene und lernen beide etwas. Diese Zeit ist wunderschön. Das schafft eine solche Nähe zwischen uns. Wir genießen das total.

Umkehrung 3: Mein Kind sollte noch viel mehr Zeit vor dem Tablet verbringen! Gut, dass mir eben erst das tolle Beispiel eingefallen ist. Das greife ich direkt wieder auf.

1. Damit wir noch mehr Kuschelzeit haben. Hatte ich schon erwähnt wie wunderschön das ist, wenn wir gemeinsam neue Sachen lernen? Wenn ich wirklich interessiert mitschaue und mein Kind mir voller Stolz etwas über die Lieblingsserie beibringen kann? Mein Kind liebt das. Und beibringen kann mein Kind mir es ja nur, wenn ich vorher mal nicht mitgeschaut habe.

2. Weil mein Kind da SO VIEL LERNT! Wirklich! Das ist so faszinierend, was es heute für tolle, altersgerechte Kindersachen auf dem Tablet gibt. Und so viel davon ist sogar „unerzogen“ oder bedürfnisorientiert. Das ist einfach NULL zu vergleichen mit dem, was es bei uns früher gab. Ehrlich. Ich mein, wir hielten damals den Tigerenten-Club schon für pädagogisch wertvoll..

3. Damit mir bewusst wird, dass ich schon wieder auf Andere höre, anstatt meiner eigenen Intuition zu vertrauen. Mal ehrlich – was weiß denn der Kinderarzt schon. Der weiß super Bescheid, wenn es um Krankheiten geht. Aber das ist keine Krankheit. Gibt es überhaupt eine Suchtklinik, die sich mit Mediensucht beschäftigt? Gibt es sowas? Ich habe zumindest noch nie davon gehört. Ich habe auch noch nie jemanden sagen hören „Ja früher war mein Kind superschlau, aber jetzt ist er leider verblödet von den Medien.“ Das höre ich eher von Menschen, die zu viel Harz-4-TV oder zu viele Nachrichten sehen und daher nur noch ein negatives Weltbild wahrnehmen. Und von wann genau sind diese Studien eigentlich die angeblich beweisen, dass Medien schädlich sind? Aus der Zeit, als die Schlümpfe als die beste Serie überhaupt galt? Eine Serie in der es nur eine einzige Frau umringt von Männern gibt? Und ich hab selbst Wirtschaftspsychologie studiert. Wenn ich da eins gelernt habe, dann, „traue keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast“. Ich entscheide mich also jetzt ganz bewusst, wieder mir und meinem Bauchgefühl zu vertrauen. Ich bin die Mama. Ich weiß am besten was gut für mein Kind ist. Und weil ich gerade so in Fahrt bin, fällt mir sogar direkt noch ein viertes Beispiel ein.

4. Weil Tablets zu den wichtigsten Medien unserer Zeit gehören. Klingt abgedroschen – ist aber so. Hätte unser Schulsystem das mal vor 5 Jahren kapiert, würde die Schule gerade gar nicht ausfallen müssen sondern stattdessen einfach remote stattfinden. Ein Lehrer und die Schüler alle zusammen in einem virtuellen Klassenzimmer. Und zack, hätten wir gerade ein Problem weniger. Vielleicht verstehen das jetzt sogar endlich mal „die da oben“. Und dann ist es für meine Kinder richtig gut, wenn sie schon mit den Medien umgehen können, wenn sie in die Schule kommen und nicht dann erst total überflutet werden von all den unendlichen Möglichkeiten.

Ich nehme also mit: Ich vertraue ab sofort wieder auf mein eigenes Urteilsvermögen und meine Intuition. Ich genieße die Freude, die mein Kind vor dem Tablet hat. Ich entspanne mich und bin die Mutter, die ich sein will. Und ich mache das Beste aus der aktuellen Situation. Ich weiß, dass sich die Situation auch wieder verändern wird. Und jetzt kann ich beruhigt schlafen gehen. Achja – und morgen gehen wir definitiv in den Wald und schauen danach eine Runde Tablet auf der Couch. 😉

Wie sind momentan deine Erfahrungen? Schreib mir gerne oder hinterlasse mir einen Kommentar, was du darüber denkst.

Herzensgrüße ♥
Deine Nicole

 

Bild von Nadine Doerlé auf Pixabay.